Kultiviertes Fleisch: Das nächste Level der alternativen Proteine

Ahrensburg, im September 2023 – Im Juni erteilte das US-Landwirtschaftsministerium zwei Unternehmen die endgültige Genehmigung für den Verkauf von kultiviertem Hähnchenfleisch. Nach Singapur sind die USA damit weltweit das zweite Land, in dem Fleisch aus Zellkulturen verkauft werden darf. Auf allen fünf Kontinenten forschen Unternehmen rund um kultiviertes Fleisch. Laut Marktforschung standen im vergangenen Jahr vor allem Rind und Hammel im Mittelpunkt, gefolgt von Geflügel und Schwein. Fisch und Meeresfrüchte bilden einen weiteren Schwerpunkt.

Meatballs on mashed potatoes.

Alternative Proteine sind weiterhin auf Wachstumskurs. Neben pflanzlichen Alternativen und Proteinen, die durch Fermentation gewonnen werden, richtet sich der Fokus zunehmend auf kultiviertes Fleisch, das auch als In-vitro-Fleisch bekannt ist. Haupttreiber hierbei sind die künftige Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung, Klima- und Umweltschutz sowie Tierwohl. „Sowohl neuartiger veganer Fleischersatz als auch kultiviertes Fleisch haben disruptives Potenzial“, erklärt Katharina Schäfer, Teamleitung Produktmanagement Hydrosol. Die Expertin erforscht im Rahmen ihrer Dissertation die Chancen von Fleisch aus kultivierten Zellen, aber auch die Herausforderungen, die diese neue Protein-Generation zu meistern hat. „Aktuell ist die größte Hürde die Akzeptanz der Verbraucher“, so Schäfer. „Studien zeigen eine unterschiedlich hohe Bereitschaft der Konsumenten, kultiviertes Fleisch zu probieren. Während in Brasilien und der Schweiz etwa dreiviertel der Menschen Fleisch aus Zellkulturen probieren würden, sind es in Deutschland und Indien immerhin noch mehr als die Hälfte. In den USA und Großbritannien hingegen nur jeweils 40 Prozent. Hinzu kommt, dass die Bereitschaft etwas zu probieren als niedrigste Stufe der Akzeptanz angesehen werden kann. Die nächstgrößere Hürde wäre etwas zu kaufen und die höchste Stufe ist, etwas regelmäßig zu konsumieren und das Gewohnte damit zu ersetzen.“

Diverse Vorteile

Wesentliche Faktoren, die die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch beeinflussen, sind unter anderem das öffentliche Bewusstsein und Wissen, ethische und ökologische Bedenken, aber auch emotionale und persönliche Faktoren. Produkteigenschaften spielen ebenfalls eine Rolle und nicht zuletzt die Verfügbarkeit von Alternativen. Dabei hat kultiviertes Fleisch verschiedene Vorteile – unter anderem aus ernährungsphysiologischer Sicht. „Die Zusammensetzung von kultivierten Produkten lässt sich flexibel einstellen“, so Katharina Schäfer. „Es ist beispielsweise denkbar, die Produktion von kultiviertem Fett so zu gestalten, dass Omega-3-Fettsäuren enthalten sind und somit ein gesünderes Endprodukt entsteht.“

Katharina Schäfer, Ambassador Cellular Agriculture & Team Lead Product Management

Hydrosol unterstützt Unternehmen bei der Produktentwicklung. „Mit Hilfe unserer jahrelangen Erfahrung im Bereich der konventionellen Fleischprodukte können wir verschiedene Services bieten“, erklärt Katharina Schäfer. „An erster Stelle steht hierbei, die funktionellen Eigenschaften von Produkten mit kultiviertem Fleisch zu optimieren.“ Textur, Faserigkeit, Bratverhalten und Mundgefühl lassen sich herkömmlichen Fleischprodukten problemlos angleichen. „Aus Preisgründen werden die meisten Unternehmen zunächst mit Hybridprodukten, also Kombinationen aus kultivierten Zellen und pflanzlichen Proteinen, auf den Markt kommen.

Hydrosol hat in der Anwendung pflanzlicher Proteine langjährige Erfahrung, die vor drei Jahren in der Neugründung des Unternehmens Planteneers mündeten. Je nach Kundenwunsch und kultivierter Produktbasis entwickelt Hydrosol im firmeneigenen Stern-Technology Center Stabilisierungs- und Texturierungssysteme für ganz unterschiedliche Produkte. Ein weiterer Vorteil sind die Synergien mit den anderen Unternehmen der Stern-Wywiol Gruppe. Durch Zusammenarbeit mit der Schwestergesellschaft SternVitamin lässt sich zum Beispiel das Nährstoffprofil von kultivierten Fleischprodukten positiv beeinflussen.

Spannende Zukunft

Seit der Präsentation des ersten Burgers aus Zellkulturen vor zehn Jahren hat sich der Bereich kultiviertes Fleisch rasant entwickelt: Die Herstellungskosten sind signifikant gesunken. Neue industrielle Anlagen ebnen den Weg in die Großproduktion. Erste behördliche Genehmigungen dokumentieren den Durchbruch dieses neuen Marksegments. In den kommenden Jahren ist die schrittweise Markteinführung von kultivierten Fleischprodukten zu erwarten. Dazu Katharina Schäfer: „Erste Verkäufe von kleineren Mengen gibt es bereits in hochpreisigen Restaurants in Singapur und den USA. Neben diesen Märkten könnten die Schweiz und das Vereinigte Königreich innerhalb Europas den Weg für kultiviertes Fleisch ebnen. Die ersten Anträge auf Zulassung sind in den letzten Wochen bei den Zulassungsbehörden eingegangen. Den Massenmarkt wird kultiviertes Fleisch voraussichtlich zwischen 2028 und 2030 erobern.“

Cheeseburger with fries.

Optimistischen Prognosen zufolge soll sich kultiviertes Fleisch bis 2040 zu einem Big Player entwickeln. Experten erwarten, dass es mit einem Umsatzanteil von 35 Prozent konventionelles Fleisch mit 40 Prozent beinahe einholen wird, während das restliche Viertel auf vegane Fleischalternativen entfallen wird. „Um einen solchen Markterfolg zu erzielen, ist die Akzeptanz dieser disruptiven Innovationen entscheidend“, betont Katharina Schäfer. „Es gibt verschiedene Faktoren, die das zukünftige Umsatzwachstum voranbringen können. Dazu zählen vor allem unterstützende Regierungs- und Regulierungsmaßnahmen, aber auch Investitionen und Innovationen, die eine skalierte Produktion von Produkten in größerer Vielfalt ermöglichen. Eine verstärkte Aufklärung der Konsumenten ist eine weitere wichtige Maßnahme. Kultiviertes Fleisch ist voraussichtlich nicht das Fleisch der Zukunft, es ist aber auf jeden Fall ein Fleisch der Zukunft.“

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